Gimmick oder Matherevolution?
Automatische Term- und Gleichungsauflösung mit Handyapps - Eine Revolution für den Mathematiklehrplan In der 4. Staffel der Serie „The Big Bang Theory“ (2010) wird die Idee einer App mit der man auch komplizierte Formeln einfach abfotografiert und die Lösung prompt präsentiert bekommt als futuristische Vision dargestellt. (vgl.: https://www.youtube.com/watch?v=ZnTLZtZzrWU Zugriff 14.1.2017) Vor einigen Tagen habe ich von einem meiner Schüler den Tipp bekommen, dass mittlerweile eine entsprechende App gratis zur Verfügung steht. Nachdem ich „Photomath“ eine Zeit lang getestet habe muss ich sagen, dass die App tatsächlich sowohl bei gedruckten als auch bei handgeschriebenen Termen und Gleichungen ausgezeichnet arbeitet. Es stellt sich nun die Frage, welche Konsequenzen sich aus dieser App für den Mathematikunterricht der Zukunft ergeben. Ich komme aus einer jener Generationen, in welcher der Taschenrechner erstmals didaktisch durchdacht in den Oberstufen eingesetzt wurde. Uns wurde in der 5. Klasse noch das händische Wurzelziehen beigebracht, weil das damals offenbar im Lehrplan stand. Man hat als Schüler aber schon gemerkt, dass die Mathelehrer die Technik nur noch halbherzig unterrichteten, weil sie selbst an der Notwendigkeit, diese Fertigkeit der breiten Masse beibringen zu müssen, zweifelten. Ich schäme mich auch als Mathelehrer nicht heute zu gestehen, dass ich das händische Wurzelziehen in den Ferien von der 5. zur 6. Klasse wieder vergessen und auch nie wieder benötigt habe. Offensichtlich ist die Kenntnis über den genauen Algorithmus zu einem Spezialwissen für Programmierer von Taschenrechnern und Tabellenkalkulationsprogrammen geworden – zugegeben überspitzt formuliert. Stehen wir gerade an einer ähnlichen Zeitenwende was das händische umformen und auflösen von Termen und Gleichungen betrifft? Ich glaube absolut JA! Auch vor dem Hintergrund, dass wir in Mathematik aufgefordert sind viele Fertigkeiten mehr als früher zu betonen, muss die Frage erlaubt sein: „ Muss noch so viel Zeit in die Termrechnung und das Gleichungsauflösen gesteckt werden?“ Ist es nicht viel sinnvoller die Zeit zu nutzen, um das Argumentieren und Begründen, das übersetzen von Alltagsprobleme in die mathematische Sprache und das Einordnen der Mathematik in den Kontext anderer Fächer zu schulen. Sind die Interpretation von statistischen Auswertungen und das einordnen von mathematisch begründeten Aussagen in den Medien nicht heutzutage viel wichtiger? Kann man wie beim Wurzelziehen auch beim Termrechnen den Unterricht dahingehend umstellen, dass eine kompetente Interpretation des Ergebnisses und das abschätzen der Richtigkeit an die Stelle des mechanischen Berechnens treten? Ich bin der absoluten Überzeugung, dass uns die neue Technologie die zeitlichen Möglichkeiten gibt, all diese Themen deutlich besser anzugehen. Ein lähmendes Totschlagargument ist natürlich immer: „Da kann man nichts ändern so lange die Schülerinnen und Schüler das in den Aufnahmeprüfungen zu den weiterführenden Schulen brauchen.“ Deshalb muss diese Frage unbedingt in einem großen Kreis von Mathematikern aus allen Sekundarstufenschulen diskutiert werden. Und zwar schnell, damit es unseren Schülerinnen und Schülern möglichst nicht zu lange geht wie mir damals, als ich etwas lernen musst, was danach sofort im Mülleimer der Geschichte verschwand.
2 Comments
12/4/2018 14:41:52
Die Frage, die Sie sich stellen ist aber schon viel älter! Und es hat den Anschein, als ab das Kultusministerium (vermutlich nicht nur in Deutschland) diese Fragen systematisch unterdrückt.
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AuthorKlaus Katzlberger, Lehrender an der Pädagogischen Hochschule Vorarlberg Archives
February 2022
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