In diesem Beitrag versuche ich den Einsatz von Erklärvideos im Matheunterricht von verschiedenen Seiten zu Beleuchten. Im praktischen Teil gebe ich Tipps, wie man eigene Videos mit angemessenem Aufwand qualitativ ansprechend produzieren kann. Flipped Classroom ist in den letzten Jahren immer häufiger im Gespräch, wenn von Differenzierungsmöglichkeiten im Unterricht die Rede ist. Vor allem im Mathematikunterricht kann diese Lehrmethode sehr nützlich sein. Nichts desto trotz sollte man nicht nur die Vorteile, sondern auch die Gefahren dieser Unterrichtsart sehen. Im klassischen Flipped Classroom, in dem die Erarbeitung des Stoffes per Video in die Hausübung verlegt wird, und im Unterricht dann aufbauend auf die Informationen aus dem Video geübt und vertieft wird, ist ein nicht unerhebliches Maß an Disziplin von Seiten der Schülerinnen und Schüler gefragt. Gerade Lernschwäche sind aber meist nicht deshalb so schwach, weil sie objektiv gesehen dümmer währen als manch andere. Das Problem liegt meist darin, dass sie nicht gelernt haben, sich ihr Lernen selbst einzuteilen, diszipliniert mit Durchhaltevermögen ein Ziel zu verfolgen und ganz allgemein konzentriert bei der Sache zu bleiben. Daher ist der klassische Flipped Classroom meiner Ansicht nach keine gute Unterrichtsmethoden, wenn das Ziel lautet soziokulturelle Defizite auszugleichen. Gott sei Dank ist der klassische Flipped Classroom aber nicht die einzige Möglichkeit, Differenzierungsfreiräume mit Hilfe von Lernvideos zu schaffen. Ich bin der festen Überzeugung, dass Erklärvideos im Zusammenspiel mit den betreuten Lernstunden im verschränkten Ganztagesunterricht viel besser geeignet sind, die Differenzierung und Chancengerechtigkeit zu verstärken. In diesen Stunden hat die Lehrperson die Möglichkeit, den einzelnen Lernendend dahingehend zu Beraten, was in seinem Wochenarbeitsplan im Moment angegangen werden sollte. Es ist, wenn die Lehrperson die Lernenden gut genug kennt, um ihr jeweiliges Leistungspotential auch abschätzen zu können, auch eine Beratung die Leistungsdifferenzierung betreffend gut machbar. Ein gemeinsames Erarbeiten von Lernstoff kann jedoch nicht erfolgen, ohne die geforderte Differenzierung und Selbststeuerung der Schüler zu vernachlässigen. Außerdem kann von einer Lehrperson nicht verlangt werden, dass sie sich in allen Fächern perfekt auskennt. Daher sind in diesen Lernphasen die Inputs durch Lernvideos besonders sinnvoll. Die Schüler sind, was ihr Durchhaltevermögen und ihre Konzentration angeht, nicht alleine gelassen. Sie können nachfragen, wenn in den Videos z.B. Einzelne Begriffe unklar sind. Das von der Lehrperson produzierte Lehrvideo ist also auf jeden Fall ein sehr gutes Mittel zur Differenzierung und zur Anregung selbstgesteuerter Lernprozesse. Das pädagogische Setting in dem die Videos eingesetzt werden, muss jedoch je nach räumlichen und technischen Voraussetzungen, den unterrichtlichen Rahmenbedingungen und der Heterogenität der Lerngruppe angepasst und definiert werden. Es ist also nicht so sehr die Frage zu stellen, ob mit Lernvideos gearbeitet werden soll, sondern nur in welchem pädagogischen Setting. Ebenfalls stellt sich die Frage, ob mit Videos gearbeitet werden soll, welche schon zuhauf im Internet zu finden sind, oder ob die Anfertigung eigener Videos Sinn macht. Im ersten Reflex meint man, es wäre Zeitsparend sich Videos aus dem Internet zu suchen, welche in den eigenen Unterricht passen. Dabei ist aber zu beachten, dass die Recherche mehr Zeit in Anspruch nimmt als man glaubt. Weiters ist es sehr aufwändig eine Lernumgebung zu gestalten, in der die Videolinks in eine für Schüler gut durchschaubare Lernlandschaft zusammengeführt werden. Der Pionier des Lernens mit Mathevideos, Salman Khan hat deshalb mit nicht geringem finanziellen Aufwand seine Videos in ein adaptives onlineTool verpackt, in dem die Schüler je nach Leistungsstand individuell durch ein Programm an Videos und Aufgaben geführt werden. Diese Art des Lernens in einem abgeschlossenen Tool wird mittlerweile auch von einem deutschen Anbieter, nämlich Bettermarks kostenpflichtig angeboten. Ein solches System scheint einen sehr großen finanziellen Aufwand zu bedeuten. So ist es zu erklären, dass die Online Angebote der Schulbuchverlage noch meilenweit hinter diesen Systemen herwinken. Außerdem haben solche Selbstlernprogramme nicht nur Vorteile. Als Nachteil ist anzusehen, dass es sich beim Lernen mit solchen Tools immer um ein Training im Sinn der Automatisierung von Algorithmen handelt. Das ist zwar ein wichtiger Teil der Mathematik, aber gerade im Zeitalter der digitalen Revolution nicht mehr der allerwichtigste. Die Problemlösestrategie, das kooperative Arbeiten und das Argumentieren und Begründen sind in einem solchen Training meist eher im Hintergrund. Solche Programme bergen immer auch die Gefahr im Sinne eines Gamification Ansatzes ein auf extrinsischer Motivation beruhendes Belohnungslernen zu fördern. Die Vereinzelung des Lernens vor dem Bildschirm ist eine Gefahr, welche in diesem Zusammenhang nicht vernachlässigt werden darf. Teamwork und peerlearning werden in diesen Systemen selten gefördert. Das Videolernen darf also meiner Ansicht nach nicht in einem insgesamt zu automatisierten und computerisieren Zusammenhang geschehen. Die Entscheidung mit welcher Lerneinheit am besten fortgesetzt wird, welcher Schwierigkeitsgrad als nächstes zu wählen ist und welcher weitere Lernweg auch dem aktuellen Interesse des Schülers entspricht, sollte nicht von einem Computerprogramm getroffen werden, sondern im Coachinggespräch zwischen Lehrer und Schüler erfolgen. Um dennoch eine für den Schüler nachvollziehbare Ordnung in die Lernvideos zu bringen, ist die Verknüpfung mit den Schulbuchinhalten sinnvoll. Dies leisten die gängigen Mathematikbücher über ihre digitalen Zusatzangebote mittlerweile. Solche Angebote decken sicher einen Gutteil des Lernstoffes ab, es ist für Lehrende aber sicher auch sinnvoll, sich mit der eigenen Produktion von Lernvideos auseinanderzusetzen. Auf der einen Seite, weil es sicher immer wieder Aspekte des eigenen Unterrichtes gibt, für den es noch keine passenden Videos gibt, auf der anderen Seite auch, weil der gewohnte Erklärstil des eigenen Lehrers für viele Schüler verständlicher wirkt. Außerdem kann man als Lehrer, der in der Produktion von Erklärvideos geübt ist, diese Methode dann ach anwenden um von den Lernenden Erklärvideos gestalten zu lassen, was den Unterricht sehr bereichern kann. Erklärvideos kann man auf verschiedenste Arten erstellen, als reine Bildschirmaufzeichnungen zum Beispiel. Hierbei kann auf Notiz-Programmen gearbeitet werden, oder es kann zu vorgefertigten Präsentationen gesprochen werden. Diese Variante kann mit oder ohne eingeblendetes Videobild des Lehrenden erfolgen. Eine weitere Variante ist, das Arbeiten auf klassischem Papier abzufilmen. Diese Variante hat den Vorteil, dass sauberes und exaktes Arbeiten mit den analogen Arbeitsmaterialien vorgelebt wird. Da ich mit dieser Variante des Videodrehs gerne arbeite, möchte ich an dieser Stelle zwei Möglichkeiten zeigen, wie ein möglichst effizienter Filmarbeitsplatz für solche Aufnahmen aussehen kann. Tablets bieten aber auch noch eine weitere Möglichkeit, welche dem Hauptargument gegen selbst angefertigte Flipped Classroom Videos entgegentritt. Das größte Argument gegen die eigene Videoproduktion ist nämlich ein zutiefst praktisches, das Zeitargument. Videoproduktion zu Hause in der Vorbereitungszeit ist, so lange man noch ungeübt ist sehr zeitintensiv. Und wirklich flott wird das Ganze auch mit dem nötigen Training nicht. Deshalb kann auch das produzieren von Quick and Dirty Filmen im Unterricht selbst ein Thema sein. In vielen österreichischen Mittelschulen wird an Methoden gearbeitet, wie der Teamteaching Unterricht pädagogisch sinnvoll und effektiv eingesetzt werden kann. Dazu ein kurzer Gedankenausflug:
Wenn in einer Übungsphase etliche Schülerinnen und Schüler den Stoff sichtlich beherrschen und andere noch mehr Übungszeit benötigen, können die Gruppen geteilt werden. Die schnelleren bekommen den nächsten Lernschritt, oder die Einführung in das nächste Kapitel klassisch als Lehrervortrag mit Tafelbild dargeboten. Ein Tablet mit Stativ nimmt diese Sequenz auf. Während die Lernenden in eine weitere Übungsphase gehen, wird das Video direkt vom Tablet aus auf eine Lernplattform hochgeladen. Die anderen Schüler können diesen Vortrag dann entweder zeitversetzt gemeinsam über den Beamer, individualisiert für sich oder zu zweit mit Tablet und Kopfhörer betrachten. So spielen sich die Lehrenden mehr Zeit für Kleingruppenförderung und Einzelgespräche frei. Außerdem kann in den individuellen Lernphasen einer Ganztagsklasse oder bei Problemen in der Hausübung auf diese Erklärungen erneut zugegriffen werden. Bei dieser Art des Videoeinsatzes ist es ganz wichtig, dass kein übertriebener Ehrgeiz, was die Qualität des Videos angeht, an den Tag gelegt wird. Im herkömmlichen Unterrichtsvortrag passieren auch ab und zu Versprecher, man verrechnet sich and der Tafel u.s.w. Das darf auch in einem solchen Video vorkommen. Es ist schließlich nur für den internen Gebrauch gedacht und wird nicht über die Lerngruppe hinaus veröffentlicht. Die wichtigsten Vorteile, die ich in dieser Methode sehe sind:
Abschließend möchte ich noch sagen, dass es nicht darauf ankommen sollte eine bestimmte Unterrichtstechnik, wie den Flipped Classroom in der einen oder anderen Art zu bevorzugen und als andauerndes Unterrichtsmodell zu verwenden. Viel mehr sollte man als Lehrender die Differenzierungspotentiale kennen, die in den verschiedenen Einsatzmöglichkeiten des Mediums Video liegen. Man sollte seinen Unterricht so planen, dass fremde wie auch eigene Videos, wo sie sinnvoll sind, integriert werden können. Die technischen Möglichkeiten vom Beamer in der Klasse bis hin zu einer ausreichenden Menge an Tablets sind zwar schön, ihr fehlen ist aber kein Grund sich mit dem Thema nicht auseinanderzusetzen. Wer das Konzept verwenden will, der kommt auch schon sehr weit mit BYOD, also dem Einsatz der schülereigenen Handys. An unserer Schule haben wir einen vorkonfigurierten WLAN Router, der für solchen BYOD Unterricht von den Lehrenden in die Klasse mitgenommen werden kann, und dort einfach an das Netzwerk angeschlossen wird. Das soll nicht heißen, dass damit ein optimaler Unterricht möglich ist, aber es soll heißen: „Warte nicht auf die optimalen technischen Rahmenbedingungen, Fang bis dahin schon mal mit kreativen Lösungen an!“ PS.: Wer sich näher mit dem Thema beschäftigen will, dem sei das Buch von Salman Khan, "die Kahn Academy" empfohlen. Außerdem hat Mone Denninger in Ihrer Masterthesis einen guten Überblick über den Flipped Classroom im Matheunterricht im deutschsprachigen Raum gegeben.
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AuthorKlaus Katzlberger, Lehrender an der Pädagogischen Hochschule Vorarlberg Archives
February 2022
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